Rezensionen zu "Violeta Dinescu - The Last Ball of the Rolling Ball Clock"

zur CD

Fono Forum Mai 2014

Ein wesentlicher Zug von Violeta Dinescus Musiksprache, das haben bisherige Portraits der Komponistin gezeigt, ist die Nähe zur Improvisation. Stets ist die Zeitgestaltung der Werke der mittlerweile 60jährigen Hochschullehrerin in Oldenburg sehr flexibel; klangliche Ereignisse von meist hoher Sinnlichkeit stellen sich in absoluter Freiheit ein. Vorliegendes Album, benannt nach dem neuesten der Stücke The Last Ball of the Rolling Ball Clock von 2013 und basierend auf einem Konzertmitschnitt von 2012, versammelt insgesamt sechs Stücke für Schlagzeug, welche sämtlich diesen Zug zur Improvisation aufweisen. Exemplarisch ist etwa das einleitende Notta di festa für Vibraphon solo, in welchem schöne Klänge und Schwebungen eine durchaus ansprechende Atmosphäre erzeugen; besonders die Gleichzeitigkeit naher und ferner Ereignisse, das Gefühl für Räumlichkeit, überzeugt unmittelbar.
Freilich hat die komponierte Freiheit auch ihre Kehrseiten. Das zweite Solostück, Doru für Marimba (im Begleittext ist von „Alean“ die Rede – wurde hier der Beihefttext nicht aktualisiert, oder ist vielleicht der Titel austauschbar?), aber auch Shan shui für Schlagzeugtrio offenbaren die Schwierigkeit, innerhalb des Quasi-Improvisierens Spannung zu erzeugen. Eine mitteilbare Form jedoch mit Beginn, einer wie auch immer gearteten Entwicklung und einem Schluß ist jedoch ohne Spannungen und ihre Lösungen nur schwer zu erreichen. Eine gewisse Statik ist zumindest einigen dieser Stücke – so auch, bei aller Binnendifferenzierung, Notte di festa sowie Pelicanul sau babita – nicht abzusprechen; darüber hinaus ähneln sich die Stücke, auch, wenn Dinescus komponierende Improvisation abwechslungsreiche Formen ausbildet, und lassen überhaupt auf eine gewisse Begrenztheit ihrer Ästhetik schließen. Gerade im direkten Vergleich der Stücke glaubt der Hörer irgendwann, alles schon einmal wenigstens so ähnlich gehört zu haben.
Diese Charakteristiken haben auch Auswirkungen auf die Interpretationen. Bei den erwähnten Stücken vermitteln die an sich sehr guten Musiker des Perkussionsensembles der Universität des Westens aus dem rumänischen Timisoara (hierzulande eher als Temeswar bekannt) schon bisweilen den Eindruck eines in sich versunkenen, ein wenig selbstgenügsamen, manchmal unkommunikativen Improvisierens, bei dem man dann doch die kompositorisch-strukturschaffenden Momente vermißt – man fragt sich, welche Schicht der Komposition nicht auch von den sehr begabten Musikern improvisiert hätten werden können.
Interessanterweise sind es das älteste und das jüngste der hier kompilierten Werke, in welchen diese Probleme nicht auftreten: In Memories von 1980, noch in Rumänien entstanden, ist es die wenn auch auf einfachste Klänge reduzierte Tonalität, die Zusammenhänge schafft, es ist das Stück mit der dichtesten und somit am leichtesten wahrzunehmenden Formung; in dem titelgebenden The Last Ball of the Rolling Ball Clock für achtköpfiges Ensemble schafft die dem Uhrensujet verdankte Motorik Orientierung und auch eine schüchtern programmatische Poetizität. Es ist wohl kein Zufall, daß sich gerade in diesem Stück auch die Freude der Musiker an der eigenen Virtuosität am mitreißendsten entlädt.
Während der Begleittext dieser Produktion leider oft wolkig bleibt – es wäre etwa gut gewesen, die präzisen Besetzungen der Ensemblestücke zu erfahren -, ist die Klangqualität für einen Mitschnitt geradezu hervorragend, man sitzt als Hörer quasi mitten zwischen den Instrumenten, ohne zu direkt angegangen zu werden. Im Ganzen ist dies ein informativer Einblick in Dinescus Schaffen – repräsentativ für dessen Schönheiten wie auch seine Schwierigkeiten.
Klassik heute April 2014, Michael B. Weiß 

Als Professorin für angewandte Komposition an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ist Violeta Dinescu seit nahezu zwanzig Jahren eine äußerst aktive Netzwerkerin im Feld der zeitgenössischen Musik, beispiellos ist ihr Engagement im von ihr gegründeten Archiv für Osteuropäische Musik, das einen Schwerpunkt auf die Musik ihres Heimatlandes Rumänien legt. Neben ihren vermittelnden Tätigkeiten schuf sie aber auch ein umfangreiches und hochwertiges kompositorisches Werk, das neben einem deutlichen Schwergewicht auf der Instrumentalmusik auch Musiktheaterkompositionen, Ballett- und Stummfilmmusiken sowie ein Oratorium umfasst.

Beim Label Gutingi erschienen bisher bereits sechs CDs mit Dinescus Kammermusik, kürzlich erschien die siebte, diesmal mit Perkussionsmusik. Die ältesten Stücke der Zusammenstellung, ein Vibrafon-Solo und ein Schlagzeug-Trio, gehen auf das Jahr 1993 zurück, das jüngste ist das titelgebende Ensemblestück The Last Ball of the Rolling Ball Clock aus dem Jahr 2012. In diesen fast zwanzig Jahren ist die Komponistin sich stets treu geblieben. Trotz des sehr unterschiedlichen Klangbilds der jeweiligen Stücke bleibt die künstlerische Identität im Kern gleich: Ihre Musik ist immer reich an Klangfarben, dabei nie formlos und unstrukturiert. Unterschiedlichste Inspirationsquellen wie mathematische Verfahren oder die folkloristische Musik ihrer Heimat finden in ihren Werken mit großer Leichtigkeit zueinander.

Notte di Festa beispielsweise, in dessen handschriftlichem Notenmaterial man den expressiven und rhythmisch freien Gestus des Werks bereits sehen kann, schafft mit den Klängen des Solovibrafons eine geheimnisvoll nächtliche Atmosphäre, Shan-Shui beschwört mit seinen Trio-Klängen eine beseelte Natur. Memories, die Bearbeitung eines Streichorchesterstücks aus dem Jahr 1980, beruft sich auf rumänische Volksmusik und verknüpft diese mit der eigenen Tonsprache, das abschließende The Last Ball of the Rolling Ball Clock gerät angesichts der Betrachtung eines kunstvoll mit rollenden Kugeln arbeitenden Uhrwerks zu einer Meditation über die (musikalisch) vergehende Zeit

Ergänzt im Booklet durch einen kenntnisreichen Essay von Egbert Hiller über Violeta Dinescus Musik für Schlaginstrumente und angereichert durch atmosphärische Fotos von Alexander Bold gelingt der vorliegenden Edition gerade durch die Beschränkung auf eine einzige Instrumentengruppe ein erhellender Blick auf das kompositorische Schaffen von Violeta Dinescu.

Die Tonaufnahmen mit dem sehr versiert agierenden Perkussionsensemble der Universität des Westens Timisoara unter der Leitung von Doru Roman entstanden als Mitschnitte eines Konzerts im Mai 2012. Die lebendige Spannung der Live-Performance und das sehr reiche Klangbild entschädigen für kleinere technische Mängel.

Das Orchester Juni 2014, Stephan Froleyks

 

 
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