Rezensionen gutingi 244Mit dem hier via CD und DVD zweifach dokumentierten und zugleich verdientermaßen gefeierten Karl Engel hatte ich eine geraume Weile meine liebe Not. In den frühen Jahren meiner musikkritischen Tätigkeit nahm der Pianist in Salzburg sämtliche Klavierkonzerte für das Label Telefunken auf. Parallel dazu wurden die jeweils aktuellen Werke im großen Saal des Mozarteums geboten – im Zusammenwirken mit dem Mozarteum Orchester unter der rührigen, forschen, gleichsam auf Durchzug justierten Leitung von Leopold Hager. Engel überzeugte mich damals allenfalls in mancherlei liebevoller, auch im Anschlag und Tonfall überraschender Detailformulierung, während die geläufigen, brillanten Passagen tendenziell an Atemlosigkeit, einer nicht eben dienlichen Beiläufigkeit litten. Engels intime Kenntnisse, bis in die letzten Winkel der gerade vorliegenden Partituren, was die Strukturen, die formalen Unüblichkeiten, kurzum: den ganzen Zauber einer wundersam in Emotion verwandelten Musik anbelangten, verschenkte er im Zuge einer im bedrohlichen Sinne nervösen Aktivität und nicht selten im Zeichen von Flüchtigkeit bis hin zu gefährlicher Schlamperei. Mich wunderte das umso mehr, als Engel mit all seinen künstlerischen Gaben etwa im französischen Prades des Cellisten und Komponisten Pablo Casals willkommen war. Und sich dort im Verein mit so illustren Gästen wie Wilhelm Kempff, Eugene Istomin, Sándor Végh und Mieczyslaw Horszowski als durchaus gleichberechtigt behaupten konnte. Wie auch immer, die Kontaktaufnahme mit einer Musikerpersönlichkeit verläuft so verschieden wie der Zugang zu den Menschen im Allgemeinen. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, unter welchen Umständen sich die erste Annäherung vollzieht und unter welchen Gegebenheiten eine engere Beziehung – auf Distanz nicht anders als etwa im engeren Schulterschluss eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses. So ist es vor allem aus diesen nur im Ansatz skizzierten Gründen besonders begrüßenswert, wenn die Verantwortungsträger des gutingi-Labels mit ihrer sozusagen zweistufigen Publikation gehörig Licht in den interessanten Fall Engel bringen. Zum einen handelt es sich um ein Hauskonzert im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung des Südwestrundfunks, in dessen Verlauf Karl Engel am 27. April 1989 „seinen" Mozart auf friedliche Weise verfocht, aber auch literarische Ausflüge wagte, die bei vielen Hörern im Zusammenhang mit diesem Interpreten nicht unbedingt auf der Erwartensliste stehen. Engel begann sein musikalisches Privatissimum mit drei Scarlatti-Sonaten, von denen die dritte (K 159 bzw. L 104) sehr frisch, sehr freiluftig, in den eng gestaffelten Doppelgriffen und Trillerschlenkern auch imponierend fingerfertig daherkommt. Für meinen Geschmack eröffnet er den Abend mit der C-Dur-Sonate K 132 sehr robust, fast unfreundlich in den abfallenden Arpeggios, wobei Scarlattis verbürgte Forderung, das Stücklein „Cantabile" zu spielen, bei Engel nur bedingt Widerhall gefunden hat. Eine Engel-Premiere für mich ist auch die in den Repetitionen ungemein geschmeidige, extrem flinke und insgesamt eindrucksvoll plastische Darbietung des spanischen Miroirs-Kapitels. Engel bleibt der gespenstischen, tänzerisch lauernden, hinterhältig grazilen, unentwegt fiebrigen Alborada del grazioso-Studie nichts schuldig. Der gebürtige Schweizer sollte ja auch nicht ganz ohne Folgen in Paris bei Alfred Cortot studiert haben. Die drei Mozart-Beispiele gelingen Engel wie aus der Perspektive des längst Gesicherten und damit Vertrauten. Er experimentiert nicht, er lässt die Musik geschehen, er überlässt sich gewissermaßen ihren Wendungen und Windungen. Kleine mechanische Unebenheiten in den Skalen der d-Moll-Fantasie erinnern an oben vorgebrachte Einwände im Zusammenhang mit der reinen Zuverlässigkeit des Vortrags, was jedoch nicht besagt, dass es Engel an Sinngebung dieser Passagen mangelt. Die Valses nobles D 969 von Schubert sind, wenn nötig (und wie von Schubert auch angemahnt) in den volkstümlicheren Abschnitten herrisch „gebeutelt", im Lyrischen vergleichsweise realistisch gehalten (vor allem im Vergleich zu den mir lieb gewordenen Einspielungen von Paolo Bordoni (EMI) und Siegfried Schubert-Weber (Eigenproduktion für Concert Artist Royston in England). Zwei Zugaben bilden so etwas wie einen launigen Übergang zur Dokumentaraufnahme „Karl Engel spielt und erläutert Mozart". Am Ende des Hauskonzerts gibt es zwei mehr als amüsant und wortgewandt, mit raffiniertem Witz begleitetete bzw. vorbereitete „Kunststückchen", die den Schülern, Freunden und „Kennern" Engels längst bekannt sind (und wie zu hören, immer wieder gefordert werden!). Für diskographische Neuankömmlinge aber werden diese insgesamt 10 Minuten kaprizös, gescheit und hinterhältig referierter Musikstilgeschichte ein Vergnügen mit Uraufführungscharakter sein. Zum einen lässt Engel (hier deutlich als ein „blauer"!) die schon sagenhafte Lili Marleen zu Wort kommen, die er im wechselnden Komponistenkostüm an ihrer Laterne platziert. Das erinnert an stilistische Maskierungen und ästhetische Travestien, wie sie Siegfried Ochs mit dem Volkslied Kommt ein Vogel geflogen orchestral, Francois Glorieux und Cyprien Katsaris auf dem Klavier zum Besten gegeben haben (oder auch noch geben). Voll und ganz dann am Ende Engels „Gambensonate", mit der sich der Pianist als vokaler Selbstdarsteller den unergründlichen, gutturalen, bestenfalls angestrengten Klanggeräuschen der karikierten Musici widmet. Zu Recht bezeichnet Barbara Engel in einem der begleitenden Texte die akustisch an ein Exotarium gemahnende Szene als seinen „Beitrag zur ersten Wiederbelebungs-Welle alter Musik". Von hohem Nutzen für jeden jungen (und auch älteren) Interpreten sind Engels Betrachtungen und am Klavier ausgeführte Beispiele zu bedeutenden Miniaturen aus dem Schaffen Mozarts. Viele Entdeckungen, viele Enthüllungen im formalen Unterholz der Rondos KV 485 und 511 zeigen den Lehrerpianisten in seinem Element als amüsanten, blitzintelligenten Spurenleser, der sich nicht scheut, die d-Moll-Fantasie wie im Original vorhanden, als Torso zu beenden. Aber er belässt es nicht dabei, sondern schließt an dieses Stück prompt mit der in der Tonart D-Dur passenden Sonate KV 311 an. Man fühlt sich unwillkürlich an die immer wieder praktizierte Bindung der c-Moll-Fantasie KV 475 an die Sonate KV 457 erinnert. Dem Pädagogen und Menschen Engel, der viele Jahre prominent im Raum 150 der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover unterrichtete, kommt man mittels dieser Rundfunk-, MC- und Filmmitschnitte in mehr als zwei Stunden näher, man lernt ihn kennen und schätzen. Im Begleitheft geben zudem Schüler Auskunft und zögern auch nicht, so manche Anekdote einzufügen – unter ihnen Gerrit Zitterbart, Markus Wenz und Ludolf Baucke. Klassik heute Februar 2012, Peter Cossé |
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